snow in april


Ich habe mich überschätzt.

Während der gesamten Hinfahrt regnet es.
In der Ferne eine Hainbuchenallee im Nebel. Zwillingsbäume, voneinander getrennt durch ein Asphaltband. Unter dem nassen Grau treffen sich ihre Wurzeln.

Grabschmuck für die Urnengräber soll auf zentralen Grabschmuckablagen abgelegt werden.
Ich lege den Naturstrauß, den die Freundin noch am Morgen in ihrem Garten gepflückt hat, auf seinen Erdhügel. Am Montag werden sie ihn abräumen und entsorgen.
Nirgends finde ich Äste als Ausstiegshilfe für kleine Tiere.

Die Sonne scheint und auf dem Weg zum Ausgang erzählt die Freundin von ihrem toten Freund, dessen Wunsch es war, seine Asche durch einen Porscheauspuff in die Welt geblasen zu bekommen.

Später essen wir Kuchen vis à vis des Friedhofs. Die dazugehörige Gärtnerei heißt KLUMPEN.
Von Nordost zieht unterdessen eine blauschwarze Wolkenwand heran und entlädt sich beinahe schlagartig über uns. Wir schaffen es gerade noch ins Auto, wo der Hagel auf‘s Dach trommelt und das Tölchen, das den ganzen Tag schon gefroren hat, am ganzen Körper zittert.

Am frühen Abend treffen die Schwester und ich uns vor dem Haus wieder. Seit Jahren habe ich es nicht betreten. Auch heute nicht.
Wir reden über das Mörderhaus am Ende der Sackgasse und über die Nachbarn, deren Mietvertrag gekündigt wurde und die die Kanzlervilla gerne kaufen würden. Über den Sanierungsstau sprechen wir und über das Hindernis eines möglichen Ensemble-Schutzes. Die Stimmung ist bleiern, unsere Trauerperspektive könnte unterschiedlicher kaum sein.

Ohne meinen Vater ist Frankfurt ein riesiges Grab auf dem Menschen wie aufgezogen herumlaufen und große, schwere Blechpanzer auf und ab fahren. Überall der regionale rosafarbene Sandstein, Fachwerk, Glas und Platanen.
Die Streuobstwiesen am Lohrberg, ein gedeckter Tisch im Regen. Das Nizza am Main.

Ich finde ihn nirgends und doch ist er überall.

Vergeblich suche ich auch nach dem Namen der 3 Frankfurter Brüder.
Auf dem Heimweg Schnee in Osthessen. Da fällt es mir wieder ein: Schnee. Die Brüder hießen Schnee.

laissez faire

heute blocken mit Diktierfunktion. schauen, was draus wird.

den Geburtstag meines Vaters werde ich in Frankfurt, Frankfurt verbringen, werde auf den Friedhof gehen und in die dort aufgestellten Wasserwassers Wasser Casa

(ok Gib auch wasserbassins) lange Äste als Ausstiegshilfe für kleine Tiere legen.

als ich am 16. Januar zusammen mit meinen Geschwistern und der versammelten Trauergemeinde hinter dem Urnenträger her lief, war mir aufgefallen, dass anders als hier in Berlin auf meinem Lieblingsfriedhof der Brüdergemeinde in Kreuzberg, keine Aufstiegsmöglichkeiten für kleine Tiere aus den großen Wasserbehältnissen existierten.

Ich wunderte mich über diesen unpassenden Gedanken zu dieser Zeit an diesem Ort, doch als ich später mit meiner engen Freundin der Psychologin darüber sprach, sagte sie, dass Trauer sich genau in dem Spannungsfeld zwischen gestern und morgen bewegt. dass man also das gestern betrauern kann und mit den Gedanken gleichzeitig einen Bogen in die Zukunft spannt. Zum Beispiel eben auch in eine Zukunft in der Tierleben gerettet werden.

ich denke an meinen Vater und ich bin sicher es hätte, oder es wird ihm gut gefallen, wenn ich die kleinen Tierchen die in der Nacht über sein Grab huschen vor dem Tod rette. vorläufig zumindest.

ich einen Text so unreal und redigiert Vielleicht wird das mein neues Sifa. Lassie fern fair noch mal: Leslie Pferd

einen Text so un reagiert

Ich geb Sauf

Ich saß auf dem Campus und trug Daisy-Duck-Schuhe aus türkisfarbenem Wildleder.
Von drinnen schwappte Musik in die Nacht. Ein blonder Typ mit Adler-Gesicht stand am Eingang. Ich rauchte und erging mich in Liebe-auf-den ersten-Blick Fantasien.
Vielleicht könnte ich mit dem nicht besonders attraktiven, aber möglicherweise sehr netten Blondling Arm in Arm alt werden und in einer fernen Zukunft auf einer Hollywoodschaukel ins Abendrot blicken, umweht von Lavendelduft.
Als hätte der Blonde meine Gedanken gehört, drehte er sich um und lächelte .
Ich lächelte zurück, schaute auf meine Schuhe und empfand nichts.
Kurz darauf erschien K. auf dem Campus, rühmte meine Schuhe und setzte sich neben mich.
Ich deutete mit dem Kinn Richtung Eingang und flüsterte: Liebe auf den ersten Blick. K. lachte leise und bot an, mich nach Hause zu fahren. Sein schwarzer Karmann stand in einer Seitenstraße.

Jonglieren

Wie offenbart man sich, ohne um Liebe oder Mitleid zu bitten?

Margo Jefferson



Ich kann wieder lesen. Ganze Romane und nicht bloß Ausschnitte oder einzelne Kapitel.
Die damit einhergehende Social- Media-Enthaltsamkeit lässt den Dritten Weltkrieg und andere pulstreibende Schlagworte in die Ferne rücken. Eine Fata Morgana irgendwo, aber nicht hier in Bullerbü.

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Das Finanzamt Frankfurt schreibt an uns Abkömmlinge.
Der Anwalt schickt Mails, deren Inhalt ich nicht verstehe.
Die Bremsen des Autos sind eingerostet.
Der Unterfranke züchtet Würmer in einer Kiste auf dem Balkon.
Wokileins IBD ist aufgeflammt. Blutiger Kot und gereiztes Gekläffe.
Der Besuchshund ist im Stadium C der Herzerkrankung angelangt. Bei D ist Sense.
Ob der Krebs zurück ist, ist nicht sicher. Die Wahrscheinlichkeit liegt über 90 %.
Das demente Tölchen bellt in der Nacht. Die ebenso entrückte Tigerin schreit im Chor dazu und nutzt das Katzenklo nicht mehr.
Jeden Morgen die gleiche Sauerei in der Küche, im Flur, im Arbeitszimmer.

Wie ein altmodischer Jongleur, der zwischen einer Reihe Tellern auf kreisenden Stäben hin und her hastet, tue ich alles, um die mir anvertrauten, kleinen Seelen am Leben zu halten.
Auf Dauer werde ich diese Gangart nicht durchhalten können.

Die neue Vermieterin spricht mich auf der Straße auf mein hohlwangiges Aussehen an. Ob es mir gut ginge. Man mache sich Sorgen um mich.
Ich kämpfe mit den Tränen und entschuldige mich dafür.

Die Vogelfutterreste wachsen zu Sonnenblumen heran. Die Spatzen hängen schaukelnd an den hohen Bambushalmen. Auf den Frühling ist Verlass.



Der Anblick meines greisen Tölchens mit den dünnen Beinen, den eingefallenen Lenden und dem unberatenen Blick aus großen Augen lässt mich an den Kanzler in seinen letzten Wochen denken. An die blauen Windelhosen, den Zimmernachbarn Herrn H, die Hitze in dem kleinen Bad, den flirrenden Spätsommertag, die Schwestern-Pizza auf dem verwilderten Parkplatz.

Wie der Kanzler im Rollstuhl sitzt ohne Fußstützen und in ausgetretenen Schuhen und wie die Malerin dem klapperdürren großen Mann zuvor in die Hosen hilft auf mein Drängen hin, gemeinsam ins Freie zu gehen, wo er doch nur schlafen will und sich wundert ob ich mit der Alpenbahn gekommen bin und wieso ich in Berlin und nicht länger in Murnau lebe.
Was die Mama dazu sagt, fragt er mehr sich als uns und ich gehe hinaus in den Gang, die Tür seines Zimmers steht offen, und in lockerem Plauderton frage ich dort meine verstorbene Mutter ob es in Ordnung sei, wenn wir Schwestern eine kleine Runde mit unserem Vater drehen. Sie sagt ja.
Und draußen vor der Klinik, das inzwischen lauwarme Grapefruit-Getränk in der Hand, lehnt der Kanzler sich zu meiner Schwester hin und raunt ihr ins Ohr, er sei jetzt Teil des Klinikteams und auf ihr gespieltes Erstaunen lächelt er verschwörerisch und sagt: ich mache nicht mehr viel, ich berate nur.

Veneers

Die ersten längeren Spaziergänge des Jahres führen mich aus der Luisenstadt ins nahegelegene Mitte. Die Köpenicker Straße ist inzwischen fast vollständig gentrifiziert. Nur die besetzte Köpi, die letzte Amalgamfüllung im ansonsten perfekt verblendeten Gebiss und der schrabbelige Wurstpate (Wurstparte) halten sich wacker. Gleich neben der planenverhangenen Fressbude haben Privatiers sich einen neo-brutalistischen Klotz mit bodentiefen Fensterfronten errichtet. Drei übereinander gestapelte Showrooms für Designklassiker in denen stilvolle Menschen selbstbewusst und konzentriert an ihren Apfel-Geräten sitzen und networken.

An der Michaelkirchbrücke, ein Stück weiter, verstellen neu gebaute
Eigentumswohnungen den Sonnenstrahlen den Weg ans abendliche Ufer, und den Bewohnerinnen und Besuchern des Spreefeld den Blick auf´s Rote Rathaus.
Goldene Tagesausklänge mit Kater Blau, Le Dorf und den ratternden Zügen der S-Bahn vis à vis, dazwischen die großen weichen Wellen vorbeischippernder Boote von deren Deck Sommermusik in den weiten Himmel dudelt, hier und da die krächzenden Rufe eines einzelnen Blässhuhns, sind damit Geschichte und ich werde mir ein neues Sujet für meine Berlin-Elegie suchen müssen.
Ob wohl das niederländische Paar mit dem supernoblen Appartment direkt an der Spree, beide in ihren Vierzigern, er schwarz gekleidet, sie in Cowboystiefeln und luftigen, knöchellangen Designkleidern, auch schon weiter gezogen ist?
Kurz nach ihrem Einzug hatten sie elegante, metallene Gartenmöbel, flankiert von amphorenartige Pflanztöpfen mit exotisch anmutenden, großblättrigen Pflanzen vor ihrer Terrassentür aufgestellt, deren Pflege sie jedoch mit der Zeit aufgaben, bis nur noch Gestrüpp übrig blieb, trocken wie der märkische Sandboden. Irgendwann blieben die Vorhänge der Wohnung durchgehend zugezogen und drinnen bellten mit tiefer Stimme ihre zwei großen Hunde.
Nur noch selten begegneten wir uns draußen im hellen Tageslicht. Dann grüßten sie mich freundlich, die Pupillen ihrer Augen stecknadelgroß.

Hip Hop

Wenn ich an mich selbst denke, als Bild, sehe ich mich unter einer Betonbrücke mit massiven, kantigen Pfeilern stehen, der Boden sandig, weiches Licht fällt von der Seite ein. Es ist kurz nach der Jahrtausendwende und ich bin übertrieben sportlich gekleidet: eine violette Cargo-Hose aus Ballonseide, an den Knöcheln geschnürt, ein violett-weißer Blouson darüber, dazu klobige weiße Sneaker. Meine Haare sind kraus statt wellig, ich lache ein Zukunftslachen mit allen Zähnen und meine Hände formen mit ausgestreckten Armen eine Hip-Hop- Geste. Ich bin also überhaupt nicht Ich.

fade out

Für die Schwester sind es Samstage, für mich die Uhrzeit ihres Anrufes: 19.32.
Jeden Tag um diese Zeit.

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Ehe das lidschäftige Haus verkauft werden kann, muss Ordnung ins Chaos gebracht werden. Wegräumen was im Verborgenen bleiben soll. Sein Ansehen wahren und auch das seiner Lebensgefährtin, an die zu denken, mir unverändert ungute Gefühle macht. Meine Geschwister bleiben in Verbindung mit ihr. Die Kontaktsperre zu unserem Vater betraf allein mich.
Ein seit Generationen wiedergekäuter, dumpfer Refrain, der mit meiner Kinderlosigkeit und mit seinem Tod ausklingt.

Zentrum unseres Systems war immer der kluge, knochenlose, übergeschnappte Kanzler.

Wellen

Die GdL unter der Führung Weselskys kündigt zur Durchsetzung ihrer Forderungen Wellenstreiks an. Hoffen wir, dass der Reiseverkehr an Ostern gewährleistet bleibt und der Bekannte von der Küste in die Hauptstadt wird reisen können. 1. Klasse, hüstel, hüstel.


Auch meine Trauer kommt in Wellen und auf der Postkarte, die ich der Freundin schicke, steht thematisch zumindest halbwegs passend: Wir sind immer noch heiß, es kommt jetzt nur in Wellen. Dabei: Hitzewallungen kämen mir bis zum endgültigen Einzug des Frühlings gerade recht.
Nachts sinken die Temperaturen unter den Gefrierpunkt. Das muss aufhören.


Nach einem melancholisch- schwermütigen End-of -the -world- as-we-know-it-Chat muss ich nach langer Zeit wieder an B like Berlin und seinen Abschiedsbrief vor fast 13 Jahren denken. Er war 55 und als er starb gab es weder Corona noch Trump.
Goldene Zeiten.
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( gestrichen)

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Drei (trei) keimende Kastanien (tres tristes tigres) habe ich auf der gestrigen Hunderunde aufgesammelt und sie später auf der Terrasse eingepflanzt. Ich hoffe, die kleinen Zukunftsbäumchen werden die ersten eisigen Unbillen ihres beginnenden Lebens überstehen und in einer brodelnden Zukunft den Nachgeborenen Schatten spenden.